Skripturale Bilder
Thomas Kellein

Heinz Beiers Brot- und Herzensberuf, die Typografie, brachte von den späten fünfziger Jahren bis in die jüngste Gegenwart mehrere hundert skripturale Bilder mit sich, von denen nun eine Auswahl als Publikation vorliegt. Sie bekunden Liebe, Schalk und manchmal Wut; sie evozieren, was ihn überzeugt hat und gelegentlich gestört. Aus einem Buchstabenakkord hat er Gesichter und tanzende Figuren herausgeholt, die an Akteure der Commedia dell’arte bei Callot, an einen kleinen maliziösen Ball erinnern. Es gibt daneben Alphabete aus Fraktur, die als blaue und rotbraune Notationen auf Grün oder Grau wie ein radikalisierter Kirchgesang erscheinen. In verwandten, »Gotisch« betitelten Blättern aus der gleichen Zeit hat er unser Alphabet als eine Simulation von biblisch-kryptischen Zeichen vorgestellt, deren Deutung denkbar, deren Lesbarkeit und Verständlichkeit jedoch gebrochen sind. Das frühe skripturale Bild bei Beier ist fast immer Schrift und Bild in einem, und im Kurzschluß zwischen beiden zeigt sich viel von seiner Metaphysik. Er ist ein Meister der Konzentration, ohne den Wunsch nach Verbalisierung oder gar lauter, flehender Reklame. Auch auf dem Feld der Typografie hat er stille Signets und streng ausgeführte Museumsplakate, Einladungskarten und Kataloge vorgelegt. Die Kunsthalle Bielefeld verdankt ihm hier bis zum Jahr 1974 und zum Teil noch heute ihre eigene grafische Identität.

Zahlreiche größere Blätter danach bekunden einen Einschnitt in Beiers künstlerischer Produktion. Er widmet sich der Collage, um Schrifttypen, gefundene Bilder und Handschriften, die meist Zitate wiedergeben, mit Binnenzeichnungen cartoonhaft zu verschränken. Seit er 1974 Bielefeld beruflich verließ, um Professor für Design an der Fachhochschule Münster zu werden, erzählen seine Bilder mehr. Das streng Formale verschwindet nicht, aber eine beherzte Improvisation tritt ihm zur Seite. Diese zwei hauptsächlichen Stränge lassen seine Arbeit fortan mit visueller Poesie, Kalligrafie und Karikaturen in Verbindung bringen. Konstant bleibt, dass er die Fläche fast immer als Tabula rasa erkennt, damit Werk für Werk ein grafischer Neubeginn möglich ist. Regelmäßig hat sich sein künstlerisches Œuvre um die entscheidenden Charaktere seines Arbeitsfeldes, nämlich die Schriften und Buchstaben bemüht. So werden Eigenheiten der Bodoni seziert. Aus der offiziellen Buchschrift hat er 1962 zum Beispiel das Fett der vertikal stehenden Typen herausgelöst und zu einer Ansammlung von Stämmen geordnet. Es ergibt sich eine rechteckige Balkenkonstruktion. In ihr werden Satzzeichen, Kommata und Ausrufezeichen, scheinbar beiläufig, wie Kuriosa eingestreut. Aus den stämmigen Lettern zieht er daneben Serifen so fein und so spitz heraus, dass das visuelle Bollwerk im Kleinen als eine Komposition aus Nadeln erlebt werden kann.

Typografie, der Beiers große Liebe gilt, kann in ihrer höchsten Vollendung Züge einer militärischen Operation auf Papier annehmen. Verschiedenen Einheiten gleich können Buchstaben zu einem Schlachtfeld zusammentreten, das am Ende starr vor Spannung wird, bis es sich nicht mehr bewegt. Nicht unbedingt gilt dieser Eindruck für kursive Schriften. Hier fächelt das Schriftblatt dem Auge Luft zu, und ein Hauch von damenhafter Spitzfindigkeit gleitet über das Papier.

Die wichtigsten Texte, die Beier als skripturaler Künstler eigenhändig abgeschrieben hat, sind »Der Landarzt« von Franz Kafka und die Zeitungsmeldungen zum Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke. Seine späteren Schriftbilder zum Thema Alphabet (»X mit Regenbogen«, »QV« oder »ABCDEF«) warten mit ebenso handgeschriebenen Zitaten auf, deren Pointiertheit beim lauten Lesen an ein Hörspiel denken ließe. Beier tritt als Maler und Dichter jedoch auch nach 1974 ohne ausdrücklichen Wunsch nach Philosophie auf. Man merkt seinen Werken eine erweckende, fast japanische Strenge mönchischer Übungen an. Geschwätz als solches ist ihm zuwider. Die vielen Meinungen dürfen mit Kritzeleien und Schabernack verbunden allein im organisierten Cartoon zur Form finden. Auch das Improvisierte seiner vergleichsweise jungen kalligrafischen Blätter bekundet die Suche nach innerer Disziplin. Die skripturalen Bilder zeigen so durchweg einen hohen Grad an Respekt und Übermut. Unmittelbar komisch sind sie dennoch nicht.